Wecker

Das 3-W-Gespräch

Ich hatte einen Mitarbeiter in meinem Team von dem ich behaupten konnte, er ist eine Uhr auf zwei Beinen. Sein Spitzname im Team war Hase, weil er von seiner Ehefrau liebevoll so genannt wird.

Das ist aber auch das Einzige, was ihn mit einem Hasen verbindet. Ansonsten ähnelt er – wie bereits gesagt – eher einer Uhr. Vorteil für mein Team und mich: Wenn einer von uns einmal keine Uhr dabei hatte, mussten wir uns nur am „Hasen“ orientieren. Wir konnten uns darauf verlassen, wenn Hase morgens das Büro betrat, war es punktgenau 8 Uhr. Ging er in die Mittagspause, hatte die Uhr gerade 12 geschlagen, und wenn er das Büro um exakt 16 Uhr verließ, wussten wir, es ist entweder Dienstag oder Donnerstag.

Auch die Abläufe innerhalb eines Tages waren bei ihm immer genau gleich:

Morgens angekommen folgten:

  1. Tasche am Arbeitsplatz abstellen, Jackett ausziehen und über den Stuhl! (Ganz wichtig, nicht in die Garderobe) hängen
  2. Toilettengang
  3. Auf dem Weg von der Toilette zurück an den Arbeitsplatz kurzer Zwischenstopp in der Teeküche, um sich ein Glas aus dem Schrank mit an den Arbeitsplatz zu nehmen
  4. Am Arbeitsplatz angekommen, Glas abstellen und Kaffeepad aus der Schublade am Schreibtisch nehmen, damit zurück in die Teeküche
  5. Seine (!) Tasse aus dem Schrank nehmen (ganz wichtig aus dem Schrank! Ist seine Tasse noch im Geschirrspüler, weil diesen noch niemand ausgeräumt hat, wird eine andere Tasse aus dem Schrank(!) genommen) und Kaffee zubereiten; By the way: der Geschirrspüler wird natürlich nicht ausgeräumt.
  6. Mit dem Kaffee zurück an den Arbeitsplatz und mit der Arbeit beginnen bis 3 Minuten vor 12 Uhr, um genau 12 Uhr in die Mittagspause zu starten. (Ich könnte jetzt noch aufzählen, was es zu essen gab, denn das war selbstverständlich auch immer genau das Gleiche. Aber lassen wir das.)

Auf diesen Ablauf konnte man sich beim „Hasen“ zu 100 Prozent, ach was sage ich, zu 150 Prozent verlassen. Und er nutzte seine Arbeitszeit zu nahezu 100 Prozent zum Arbeiten. Private Gespräche oder gar Verabredungen während der Arbeitszeit oder private Recherchen im Internet usw. kamen bei ihm so gut wie nie vor. Das war er wirklich sehr vorbildlich.

So weit so gut … wenn nichts seinen „Betriebsauflauf“ störte. Aber wehe dem, eine der Kolleginnen oder ein Kollegen kam ihm in die Quere, dann wurde diese Person regelrecht angeblafft. Ich selbst wurde auch zweimal fast über den Haufen gerannt, weil ich auf „seinem“ Weg stand.

Ich versuchte lange Zeit, Verständnis für seine Verhaltensweise aufzubringen und auch bei den anderen Teammitgliedern Verständnis zu wecken. Schließlich war er ein fleißiger Mitarbeiter und ließ sich auch sonst nichts zu Schulden kommen. Und mir lag auch viel daran, dass meine Leute einen gesunden Umgang mit der Verschiedenheit der einzelnen Menschen übten. Schließlich waren unsere Kunden auch alle sehr unterschiedlich, und jeder einzelne Kunde hatte es verdient, guten Service und respektvollen Umgang zu erhalten.

Aber „unser Hase“ brauchte Grenzen. Und so geschah es, dass eines Tages das Maß mehr als voll war, denn seine unwirsche Art hatte eine Mitarbeiterin fast in Tränen ausbrechen lassen.

Schluss jetzt, dachte ich und bestellt ihn zum 3-W-Gespräch. Mit Wahrnehmung – Wirkung – Wunsch holte ich ihn im wahrsten Sinne des Wortes auf den Boden der Tatsachen und musste ihm anschließend ein Glas kaltes Wasser reichen, damit er wieder durchatmen konnte.

Ich sehe noch immer sein erschrockenes Gesicht vor mir und höre ihn sagen: „Frau Stein, so ein Gespräch haben wir ja noch nie geführt. Wir haben uns doch immer gut verstanden.“

Im weiteren Gespräch erklärte ich ihm, dass es nicht darum ging, wie wir uns verstehen, sondern um ein angemessenes Verhalten unter- und miteinander. Ich schlug ihm einen Termin bei unserem internen Trainer, der auch Coachings durchführte, vor, so er mein Feedback noch einmal außerhalb des Fachbereiches mit einer dritten, nicht involvierten Person besprechen konnte. Er willigte ein.

Circa 4 Wochen vergingen. In dieser Zeit fand auch das Gespräch mit unserem Trainer/Coach statt. Andere Teammitglieder sprachen mich bereits an: „Was ist denn mit dem Hasen passiert? … Irgendetwas ist anders. … Der ist irgendwie netter als sonst. …“

Dann kam „Hase“ auf mich zu und bat um einen erneuten Gesprächstermin. Ich dachte: „Oh je, was kommt da…“

Aber dieses Mal war ich diejenige, die große Augen bekam. Denn Hase hatte um Gespräch mit mir gebeten, um sich bei mir zu bedanken. Auch wenn das 3-W-Gespräch ziemlich hart für ihn war, hatte ich ihm die Augen geöffnet. Er selbst fühlte sich viel besser, irgendwie erleichtert und selbst seine Frau hätte bereits bemerkt, dass er nicht mehr „so muffig“ von der Arbeit nach Hause kommt.

Ende gut alles gut? Ja, aber nicht, ohne noch einmal in die Selbstreflektion zu gehen. Neben der Freude darüber, dass es sowohl dem Hasen besser ging als auch die Atmosphäre im Team wieder entspannter geworden war, habe auch ich etwas Entscheidendes daraus gelernt:

Dinge frühzeitig ansprechen. Dann kann es mitunter leichter und weicher gehen – für alle Beteiligten.